Zusammenfassung
In der Gesellschaft der Gegenwart verlieren zunehmend viele in der Vergangenheit umrissen erscheinende Phänomene an Kontur. Dies gilt auch für die Lebensphasen der Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters. Die bisher gültigen Kriterien für die Beendigung dieser Lebensphase haben an Bedeutung bzw. an definitorischer Kraft verloren. Die Beurteilung der beruflichen Entwicklung oder die eigene Familiengründung als äußere Kennzeichen haben gleichermaßen an Verbindlichkeit eingebüßt wie der Aspekt der stabilen persönlichen Identität als ein psychologisches Moment. Dabei kann kein Zweifel bestehen, dass der Übergang in das Erwachsenenalter mit Entwicklungs- und Reifungsschritten einhergehen muss. Ohne deren Bewältigung wird es – allen Gesellschafts- und Zeitgeistdiagnosen zum Trotz – für den Einzelnen kein Leben in Eigenverantwortung geben können.
„So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig, man muss sie für fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umständen das Möglichste getan hat.“
Johann Wolfgang von Goethe
In der Gesellschaft der Gegenwart verlieren zunehmend viele in der Vergangenheit umrissen erscheinende Phänomene an Kontur. Dies gilt auch für die Lebensphasen der Adoleszenz und des jungen Erwachsenenalters. Die bisher gültigen Kriterien für die Beendigung dieser Lebensphase haben an Bedeutung bzw. an definitorischer Kraft verloren. Die Beurteilung der beruflichen Entwicklung oder die eigene Familiengründung als äußere Kennzeichen haben gleichermaßen an Verbindlichkeit eingebüßt wie der Aspekt der stabilen persönlichen Identität als ein psychologisches Moment. Dabei kann kein Zweifel bestehen, dass der Übergang in das Erwachsenenalter mit Entwicklungs- und Reifungsschritten einhergehen muss. Ohne deren Bewältigung wird es – allen Gesellschafts- und Zeitgeistdiagnosen zum Trotz – für den Einzelnen kein Leben in Eigenverantwortung geben können.
Bei ihren explorativen Bewegungen treffen der Adoleszente und der junge Erwachsene im Zeitalter der Spätmoderne den benötigten adoleszenten Erprobungsraum gewissermaßen besetzt an. Im Zuge einer gesellschaftlichen Verpflichtung zu Jugendlichkeit, Flexibilität und Aufbruchbereitschaft wird dieser Möglichkeitsraum von der Elterngeneration gar nicht mehr freigegeben, bleibt in bemerkenswerter Ungebrochenheit anhaltend beansprucht. Parallel zu dieser Okkupation eines essenziell notwendigen Raums für die nachfolgende Generation durch die Elterngeneration erfolgt mit gleicher Selbstverständlichkeit deren Partizipation am Leben der eigenen Kinder. Diese Anteilnahme, die sich vordergründig durch nicht endendes „Sponsoring“ und „liebevolle“ Unterstützung zu erkennen gibt, unterläuft die schrittweise innere Begegnung mit Verselbstständigungswünschen und Eigenverantwortung, die als erlebbare Begleitphänomene innerer Ablösungsvorgänge notwendig sind.
Die Schwierigkeit der Elterngeneration – vom Zeitgeist vermeintlich nur zu gut gestützt und damit auch mühelos zu leugnen –, Trauerarbeit zu leisten, die eigene Jugend als endgültig vergangen anzuerkennen, geht somit Hand in Hand mit der Schwierigkeit der nachfolgenden Generation, sich selbst den Status eines Erwachsenen zuzuschreiben, die (unbewusste) Aggressivität aufzubringen, die eigenen Eltern sukzessive aus ihrer Position zu drängen. Diese Situation ist in ihrer Eindeutigkeit kaum zu leugnen, bietet aber eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten hinsichtlich der zugrunde liegenden Motive.
Aus psychoanalytischer Perspektive lässt sich eine Gesellschaft konstatieren, die in ihrer manischen Bewegtheit keine Trennung, keine unumkehrbare Entwicklung und keinen unwiederbringlichen Verlust mehr zu kennen scheint. Diese Unmöglichkeit zu trauern, die beide Generationen miteinander verbindet, unterläuft die Stabilisierung des Selbstgefühls und der Eigenständigkeit, die wiederum als Voraussetzungen von Ablösungsbewegungen unverzichtbar sind. Es resultiert eine in unaufhaltsam manischer Erneuerung befindliche innere und äußere Welt, die die drohende Depression und Verzweiflung zu negieren versucht. Alain Ehrenberg verweist in seiner viel zitierten sozialpsychologischen Studie auf die depressive Persönlichkeit: Sie „verharrt in einem Zustand der permanenten Adoleszenz, es gelingt ihr nicht erwachsen zu werden und die Frustrationen, die das Geschick eines jeden Lebens sind, zu akzeptieren“ (Ehrenberg 2004, S. 150).

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