Zusammenfassung
Empfehlungen werden gegeben zu den Stichworten:
Das psychiatrische Forschungsfeld (Kap. 1)
Forschungsbedarf (Kap. 2.1)
Normativer Kontext (Kap. 2.2)
Ethikkommissionen (Kap. 2.2.3)
Reichweite von Normen (Kap. 2.2.4-5).
Die Nutzen-Risiko-Bewertung (Kap. 3.1)
Feststellung der Einwilligungsfähigkeit (Kap. 3.2)
Unbestimmte Begriffe (Kap. 3.3)
Therapeutische Fehlwahrnehmung (Kapitel 4.1)
Wissenschaftliche Validität (Kap. 4.2)
Heilversuch, kontrollierter klinischer Versuch, placebokontrollierter Versuch (Kap. 4.3)
Nicht-interventionelle Studien (Kap. 4.4).
Vertraulichkeit von Forschungsdaten (Kap. 4.5)
Forschung und Öffentlichkeit (Kap. 5)
Das psychiatrische Forschungsfeld
(Kap. 1)
Forschung in der Psychiatrie ist Forschung für und mit Patienten. Aber zwischen medizinischer Grundlagenforschung zu Ursachen und Bedingungskonstellationen von Entstehung, Manifestation und Verlauf von Krankheiten einerseits und angewandter Forschung zur Optimierung der Behandlung und Versorgung von Kranken andererseits gibt es ein weites Feld unterschiedlicher Nähe zum Patienten und deren ethischen Implikationen. Dabei ist der Bedarf groß und die Forderung aktuell, patientenorientierte Forschung zur Anwendung des meist patientenferner und grundlagennäher generierten Wissens zu intensivieren. Ethisch relevant ist vor allem, ob Forschung mit oder ohne potenziellen individuellen Nutzen für die beteiligten Patienten durchgeführt werden soll. Angetrieben wird der aufwendige Forschungsprozess durch den Wunsch von Patienten nach optimierter Behandlung, durch an Optimierung ihrer Mittel orientierte Ärzte, die helfen wollen oder durch die wissenschaftliche Neugier von Ärzten, die wissen wollen und keineswegs zuletzt durch gesetzliche Vorgaben sowie die Industrie.
Klinische Forschung wird als Intervention bei Patienten verstanden, die mit wissenschaftlichen Methoden auf überindividuelles Wissen zielt und damit über den individuellen Nutzen für den teilnehmenden Patienten hinausgeht. Solche Forschungsintervention ist ethisch nur vertretbar, wenn
ihr Nutzen-Risiko-Verhältnis vernünftig und gerechtfertigt und
die Einwilligung nach Aufklärung („freeinformedconsent“) gültig ist.
Der Forschungsbedarf
(Abschn. 2.1)
Der Bedarf an evidenzbasiertem, d. h. wissenschaftlich gesichertem Wissen ist groß, besonders bei psychischen Krankheiten, die chronisch-progredient und langwierig verlaufen, nicht oder nur unbefriedigend behandelbar sind, zu schwerwiegenden Minderungen der Lebensqualität der Erkrankten wie auch ihrer Angehörigen führen und in beachtlicher Häufigkeit auftreten. Eine Forderung zur Deckung dieses Forschungsbedarfs ergibt sich aus der sozialrechtlichen Pflicht, nur wirksame und wirtschaftliche Interventionen anzuwenden und indirekt aus dem Arzneimittelgesetz , das genaue Regeln zum Schutz von Teilnehmern der unverzichtbaren Forschung festgelegt hat.
Dieser Bedarf an gesellschaftlich geforderter Forschung kann näherungsweise nur gedeckt werden, wenn jeder in ein Forschungsprojekt einbezogene Kranke ausreichend gegen Risiken, Belastungen und Unannehmlichkeiten geschützt ist. Ausreichend meint ein mittels ethischer Prinzipien definiertes und gesellschaftlich akzeptiertes Maß. Dies gilt besonders für sogenannte vulnerable Populationen, als welche psychisch Kranke und vor allem nichteinwilligungsfähige Patienten angesehen werden.
Der normative Kontext
(Abschn. 2.2)
Die ethischen Implikationen klinischer Forschung mit psychisch Kranken haben sich entsprechend der Entwicklung des Behandlungsbedarfs differenziert: Von Forschung ausschließlich mit einwilligenden Personen (Einwilligungsmodell ) zur Forschung auch mit krankheitsbedingt nichteinwilligungsfähigen Patienten , wenn sie einen direkten potenziellen individuellen Nutzen (Nutzenmodell ) erwarten lässt und der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat; um nichteinwilligungsfähige akute Notfallpatienten in dringend notwendige Forschungsprojekte auch ohne sofortigen Einwilligungsersatz einbeziehen zu können, sind ethisch begründete und rechtlich vertretbare Wege gefunden worden. Zudem müssen mögliche Risiken bei Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Patienten minimiert werden (Risikominimierungsmodell ). Kontrovers wird Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Patienten ohne potenziellen individuellen, aber wenigstens gruppenspezifischen Nutzen diskutiert; denn je fraglicher der Nutzen für die einbezogenen Patienten ist und je vulnerabler sie sind, umso stärker müssen die Vorkehrungen zu ihrem Schutz sein. Solche Forschung erscheint ethisch vertretbar nur, wenn nicht mehr als minimale Risiken zu erwarten sind. Trotz weiter entwickelter Schutzkriterien (Schutzkriterienmodell ) ist aber in Deutschland ausschließlich gruppenspezifische Forschung nur mit Kindern rechtlich zulässig, nicht aber mit nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen.

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