Abb. 10.1.
Kortikale Repräsentation des Handareals bei einem Patienten nach Schlaganfall. Aufgezeigt ist das naturgetreue Hirnmodell des Patienten mit einer subkortikalen Schädigung. Mittels neuronavigierter Magnetstimulation wurde im primären motorischen Kortex (M1) der Ort diagnostiziert, der die Hand motorisch repräsentiert (M. abductor pollicis brevis; dargestellt als Kugelmarkierung). Bei Hirngesunden ist dieser sehr symmetrisch in beiden Hemisphären angeordnet und im sog. „hand knob“ (transparente Kreismarkierung) zu erwarten. Bei diesem Patienten mit partieller Restitution der Handfunktion nach schwerer Lähmung ist die Repräsentation der paretischen Hand (roter Punkt im Bild) im Vergleich zur erwarteten Lokalisation (grüner Punkt) als Zeichen einer funktionellen kortikalen Reorganisation verschoben
Andere Befunde legen nahe, dass überlebende Areale um das Infarktgebiet herum hilfreich für die funktionelle Erholung sind. Aber auch die Aufgabenverteilung zwischen den primären (M1) und sekundären motorischen Arealen (z. B. PMC) scheint sich zur Unterstützung der Funktionserholung zu ändern: So zeigten Patienten mit stärkerer Beeinträchtigung der kortikospinalen Bahn (Pyramidenbahn) bei der bewussten Kontrolle von Kraft eine Aktivität im PMC beidseits, die sonst in M1 zu sehen gewesen wäre.
Fazit
All diese Befunde legen nahe, dass das Gehirn zu einer strukturellen, die Erholung der Funktion unterstützenden Reorganisation zumindest in begrenztem Maße fähig ist.
10.3 Interaktion und Mobilisation
10.3.1 Ziele
Voraussetzungen für Interaktion und Aktivitäten bzw. Ziele sind
Wachheit,
Kontaktaufnahme,
Haltungskontrolle,
Antrieb, Handlungsintention und
Willküraktivität.
10.3.1.1 Wachheit
10.3.1.2 Ausschließen möglicher Ursachen
Die erste Voraussetzung für Interaktion und Willküraktivitäten ist Wachheit. Es gibt viele Gründe, warum die Wachheit beeinträchtigt sein kann. Auf verschiedene Aspekte wurde oben bereits eingegangen. Wichtig ist, darauf zu achten, dass all diejenigen zusätzlichen Aspekte, die gut behandelt werden können, auch berücksichtigt wurden:
Werden evtl. noch Medikamente verordnet, die die Wachheit reduzieren (auch ein Überhang von Schlafmedikation ist zu bedenken)?
Ist der Schlaf-Wach-Rhythmus gegeben oder evtl. umgekehrt? Falls ja, wäre es wichtig, den Rhythmus physiologisch durch Erreichen von Nachtschlaf und Vermeiden von Schlaf tagsüber wiederherzustellen.
Elektrolytveränderungen (Hyponatriämie) können die Wachheit beeinträchtigen. Ähnliches gilt für metabolische Störungen oder endokrinologische Veränderungen, insbesondere bei Schilddrüsenunterfunktion.
Geminderte Wachheit nach schweren Hirnschädigungen, intrazerebralen Blutungen oder Schädel-Hirn-Trauma kann auch durch Liquorzirkulationsstörungen bedingt sein. Oftmals entwickelt sich erst im Verlauf, auch nach Monaten ein symptomatischer Normaldruckhydrozephalus, der sich mindernd auf die Vigilanz auswirkt.
Gelegentlich gibt es einen non-konvulsiven Status epilepticus, der sich nur dadurch bemerkbar macht, dass der Patient zu keiner Interaktion fähig ist (Ausschluss mittels EEG).
Sicher seltener, aber dennoch kommt es vor, dass ein Patient zwar wach ist, aber aufgrund einer ausgeprägten beidseitigen Ptose die Augen nicht öffnen kann. In diesem Fall hilft es, phasenweise die Augenlider hochzukleben.
Wenn alle diese Aspekte ausgeschlossen sind, und die Wachheit tagsüber dennoch nicht für eine Kontaktaufnahme unter Interaktion ausreicht, kommen medikamentöse Verfahren und therapeutische Stimulation in Betracht.
10.3.1.3 Therapie
Bei den therapeutisch-stimulierenden Verfahren ist zu bedenken, dass jede sensorische Stimulation, sei sie akustisch, optisch, taktil oder somatosensorisch wie z. B. passives Bewegen oder Lageveränderungen des Kopfes (vestibulär), über sensorische Afferenzen den Hirnstamm erreicht (soweit die Afferenzen intakt sind) und dort das aufsteigende retikuläre aktivierende System (ARAS) in seiner Aktivität beeinflusst. Über die dadurch ausgelöste diffuse Aktivitätssteigerung des Kortex können Wachheit und spezifische Informationsverarbeitung verbessert werden.
Ein medikamentöser Therapieversuch ist v. a. mit dem Medikament Amantadin möglich. Bei einer Dosierung von zunächst 100 bis schließlich 300 mg/Tag, verteilt auf 2–3 Dosen (8:00 Uhr, 12:00 Uhr, 16:00 Uhr) kann teilweise ein deutlicher Effekt auf die Vigilanz erreicht werden. Auch ein Versuch mit einem Levodopapräparat (2×50 mg bis 3×250 mg/Tag) und mit einem Dopaminagonisten (z. B. Piribedil 1×50 mg bis 3×50 mg/Tag) scheint gerechtfertigt (Cave: Keine zugelassenen Indikationen!).
Bei zumindest phasenweise gegebener Wachheit kann die Interaktion ins therapeutische Zentrum rücken: Blickfixation, Blickfolge, Willkürreaktionen auf verbale oder nonverbale Aufforderung, nonverbale (und verbale) Kommunikation inkl. Kommunikationscode mit einfachen Mitteln (z. B. Ja/Nein: Augen 1- oder 2-mal schließen oder offen lassen).
Die passive und assistive Mobilisation an der Bettkante, im Pflegerollstuhl, Stehbrett, Freistehbarren oder an der Behandlungsliege dient der Förderung der Kopf- und folgend der Rumpfkontrolle im Sitz und Stand, der Kreislaufkonditionierung sowie der Vermeidung von Kontrakturen und Spastikentwicklung bzw. der Tonusregulation.
Ein weiterer Schwerpunkt der physio- und ergotherapeutischen Behandlung sowie der therapeutischen Pflege ist, auf den Eigenantrieb für Handlungen und Willkürbewegungsfähigkeiten zu achten und diese gezielt zu fördern.
10.3.2 Evidenz
In einer systematischen Übersichtsarbeit von Georgiopoulos et al. (2010) wurden insgesamt 16 Studien eingeschlossen, bei denen Patienten mit Wachkoma oder minimalem Bewusstseinsstatus („minimally consciousness state“, MCS) untersucht wurden. Die Untersuchungen wurden zumindest mehrere Monate nach der fallbezogen entweder traumatischen oder nicht-traumatischen Hirnschädigung durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass zumindest in einzelnen Fällen
eine dopaminerge Medikation mit Levodopa oder Amantadin,
die Medikation mit Zolpidem,
chirurgische Maßnahmen mit tiefer Hirnstimulation, extraduraler kortikaler Stimulation oder Stimulation des Rückenmarks bzw.
eine intrathekale Baclofenmedikation
mit einer verbesserten Bewusstseinslage einhergingen. Die Evidenzlage ist jedoch noch zu gering, um hier zu generalisieren bzw. spezifische datenbasierte Empfehlungen geben zu können.
In einer randomisierten kontrollierten Studie (Cumming et al. 2011) wurden akute Schlaganfallpatienten
entweder einer üblichen Schlaganfallbehandlungseinheit zugeführt
oder sehr früh intensiv mobilisiert (Mobilisationsbehandlung innerhalb der ersten 24 h).
Im anschließenden Vergleich der beiden Gruppen sah man, dass die Gruppe mit der sehr frühen Mobilisation wieder früher gehfähig war, nach 3 Monaten einen stärkeren Zuwachs an Selbstständigkeit im Alltag hatte (Barthel-Index) und auch eine stärkere Verbesserung der motorischen Leistungen (Rivermead Motor Assessment).
10.3.3 Praktische Umsetzung
Die Förderung von Mobilisation und Interaktion setzt zunächst bei der Wachheit an und betont alle diejenigen Aspekte, die ausdauernde Wachheit und Verringerung einer Tagesmüdigkeit zum Ziel haben.
Die Ressource „Wachheit“ ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren aktiven Fähigkeiten. Hierzu dienen auch die passive Mobilisation sowie die basale multimodale Stimulation. Ist Wachheit erreicht, so werden
einerseits Kopf- und Rumpfkontrolle durch passive und assistive Mobilisation an der Bettkante, in den Pflegerollstuhl, auf dem Stehbrett (◘ Abb. 10.2), im Freistehbarren oder auf und an der Behandlungsbank gefördert und
Abb. 10.2
a, b. Passive und assistive Mobilisation auf dem Stehbrett. Eine frühzeitige und konsequente Mobilisation dient der Förderung von Wachheit, Interaktion, Kopfkontrolle, Kreislaufkonditionierung sowie der Vermeidung von Kontrakturen und Spastikentwicklung bzw. der Tonusregulation
andererseits die Interaktion und Kommunikation (zunächst auch nonverbal) und schließlich der Antrieb für eigene Bewegungen und die Fähigkeit zur Willkürbewegung gezielt gesucht, überprüft und durch wiederholtes Üben bzw. über die Einbindung in adaptive oder persönlich relevante Zusammenhänge gefördert.
Der wache Patient – ggf. auch mit sehr geringen Willküraktivitätsmöglichkeiten – sollte lernen, sich mitzuteilen und selbst die Steuerung übernehmen bzw. durch gezieltes, i. d. R. assistiv-repetitives Training seine noch geringen Bewegungsfähigkeiten stetig ausbauen können.
Falls ein Zustand mit nur sehr geringer Restbewegungsfähigkeit nicht nur einen kurzen Zeitraum als Übergangssituation besteht (bei weiterer Erholung), sondern sich abzeichnet, dass diese ggf. mittel- oder längerfristig die Leistungsgrenze darstellen wird, sind individuell Möglichkeiten der apparativen Kommunikationshilfen bzw. Umweltsteuerung zu prüfen und im Rahmen der Rehabilitation zu adaptieren. Dadurch können selbst bei stärkster Lähmungsbeeinträchtigung, aber noch vorhandenen kognitiven Ressourcen Teilselbstständigkeit und Kommunikationsfähigkeit für den Alltag individualisiert und für den Einzelnen in persönlich höchst relevantem Maß gefördert werden.
10.4 Stand, Transfer und Gehen
10.4.1 Ziele
Ziele sind
Tonuskontrolle und Gelenkbeweglichkeit,
Willkürbewegungskontrolle,
unterstützter und freier Sitz,
Aufstehen und Stehen,
tiefer Transfer oder Transfer über den Stand,
Gehen mit Unterstützung und/oder Hilfsmitteln,
Gehen ohne Hilfsmittel,
Treppensteigen,
Gehen auf unebenen Oberflächen,
Ausdauerbelastbarkeit beim Gehen.
10.4.1.1 Prophylaxe und Behandlung von Kontrakturen
Eine wichtige Aufgabe der neurologischen Frührehabilitation ist, das Auftreten von Kontrakturen zu vermeiden oder bei deren Entstehung konsequent zu behandeln.
Mit Kontrakturen meint man die Reduktion des maximal möglichen passiven Bewegungsausmaßes in einem Gelenk. Gerade bei schwer betroffenen neurologischen Frührehabilitationspatienten entwickeln sich oft rasch Kontrakturen, insbesondere die großen Gelenke betreffend, die daher für die weiteren motorischen Fortschritte eine erhebliche Behinderung darstellen können. Der Sachverhalt, dass die oftmals schwer gelähmten Personen ihre Gliedmaßen nicht mehr selbst aktiv bewegen können, führt durch die dadurch bedingte Immobilität schnell zu einer Verkürzung in der Muskulatur als auch in den periartikulären Weichteilen (Gelenkskapsel). Die Vermeidung von Kontrakturen ist daher ein wesentlicher Behandlungsauftrag der motorischen Rehabilitation. Erreicht wird dies durch
regelmäßiges, auch endgradiges (möglichst schmerzfreies) Bewegen der schwerer gelähmten Gliedmaßen,
wechselnde Lagerung im Liegen, Sitzen oder im (ggf. passiven) Stehen,
intermittierende Nutzung von Lagerungsschienen und
Anbahnen von aktiven Bewegungsmöglichkeiten.
Lagerungsschienen werden am besten zirkulär (z. B. Prophylaxestiefel aus Softcastmaterial) individuell angepasst, um einerseits eine effektive Lagerung zu erreichen und andererseits die Gefahr von Druckschädigungen zu minimieren.
Eine regelmäßige Dokumentation des passiven Bewegungsausmaßes, z. B. nach der Neutral-Null-Methode, ist eine wichtige Voraussetzung, um die Entwicklung von Kontrakturen im Behandlungsprozess zu vermeiden. Sind Kontrakturen aufgetreten, so sind ossäre Veränderungen (z. B. auch periartikuläre Ossifikationen) auszuschließen, bevor mit Gipsredressionsmaßnahmen eine möglichst funktionsrelevante passive Beweglichkeit wiederhergestellt wird. Oftmals müssen zum Erhalt der passiven Beweglichkeit Begleitumstände therapiert werden, die sowohl die prophylaktische als auch die therapeutische Behandlung von Kontrakturen erleichtern. Hierzu zählen
Maßnahmen zur Minderung psychovegetativer Stressreaktionen bei schwer betroffenen Patienten,
die medikamentöse Behandlung neuropathischer Schmerzen oder
eine adäquate antispastische Behandlung, entweder mit oral verabreichter Medikation oder Botulinumtoxin bzw. intrathekaler Baclofenbehandlung.
Bei Patienten, die zu Kontrakturen neigen, sind nach einer adäquaten Kontrakturbehandlung neben der konsequenten Lagerung oftmals (zirkuläre) Lagerungsschienen erforderlich, um den Behandlungserfolg aufrechtzuerhalten.
10.4.1.2 Förderung der Mobilität
Bei der Mobilitätsförderung gibt es einen inhaltlich sinnvollen Stufenplan, der für jeden Schritt zu höherer Mobilität exakt diejenigen Kompetenzen voraussetzt, die zuvor erworben wurden. Die jeweils erreichte Mobilitätsstufe ist dann auch das Kriterium für die jeweils richtige Hilfsmittelauswahl zur Unterstützung der Mobilität, z. B. Nutzung eines Pflegerollstuhls, eines Elektrorollstuhls oder eines Leichtgewicht- bzw. Aktivrollstuhls etc.
Weitere Ziele der motorischen Rehabilitation sind
aktive Kopfkontrolle, mit der Fähigkeit zu Halteaktivität und Kopfbewegungen,
aktive Rumpfkontrolle, zunächst im gehaltenen Sitz, dann bis in den freien Sitz und beim Aufstehen,
die Fähigkeit, zu stehen,
die Fähigkeit, aufzustehen und sich selbst zu transferieren bzw. die Fähigkeit, sich ohne Aufstehen zu transferieren (Tiefentransfer), ggf. mit Hilfsmittel wie Rutschbrett,
die Fähigkeit, mit Hilfsmitteln und Hilfspersonen zu gehen,
die Fähigkeit, mit weniger oder keiner/n Hilfe und Hilfsmitteln selbstständig zu gehen, und
die Fähigkeit, Treppen zu steigen.
10.4.1.3 Haltungskontrolle und Gleichgewicht
Neben der aktiven Bewegungsfähigkeit sind besonders die Haltungskontrolle sowie das statische und dynamische Gleichgewicht von Bedeutung.
Gleichgewichtsfähigkeit bedeutet:
Unter Gleichgewichtsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, den gesamten Körper im Gleichgewichtsszustand zu halten oder während/nach umfangreichen Körperverlagerungen diesen Zustand beizubehalten bzw. wiederherzustellen. (Meinel u. Schnabel 2007) «
In die Haltungskontrolle (posturale Kontrolle oder auch Balance) gehen vielfältige vestibuläre, visuelle und somatosensorische Informationen ein, die von den motorischen Systemen der Haltungskontrolle genutzt werden. Oft finden solche Prozesse ohne unser bewusstes Zutun statt (automatisiert), können aber bei einer neurologischen Beeinträchtigung auch über eine z. T. bewusste Kontrolle wiedererlernt werden. Hier ist ein aufgabenspezifischer Ansatz erforderlich, d. h., die jeweilige posturale Kontrolle wird in Situationen trainiert, in denen sie tatsächlich erforderlich ist. So ist z. B. Kopfkontrolle erfordert, wenn der Patient sitzt.
10.4.1.4 Training der posturalen Kontrolle
Die posturale Kontrolle im Sitzen kann man entweder mit angelehntem Oberkörper (Anlehnung an den Therapeuten) oder frei sitzend z. B. an der Bett- oder Bankkante trainiert werden. In die posturale Kontrolle im Sitzen sind insbesondere auch das Vestibulozerebellum und die verbindenden Bahnen vom Hirnstamm zum Rückenmark miteinbezogen.
Die Fähigkeit einer adäquaten posturalen Kontrolle im Sitzen ist eine Voraussetzung dafür, die komplexere posturale Kontrolle im Stehen wiederzuerlernen.
Das Stehen setzt eine komplexere Kontrolle mit mehr Freiheitsgraden (Notwendigkeit der Stabilisierung der vielgelenkigen Beine und des Rumpfes) voraus. Neben der statischen posturalen Kontrolle (ohne dass größere Änderungen oder Einflüsse der Körperposition kontrolliert werden müssen) ist die das Erlernen der dynamischen Kontrolle – der Fähigkeit, adäquat auf Störungen der Position zu reagieren – extrem bedeutsam. In diese Funktionen sind das Spinozerebellum und die verbindenden ab- und aufsteigenden Bahnen vom Hirnstamm zum Rückenmark miteinbezogen.
Sowohl für die posturale Kontrolle im Sitzen als auch im Stehen werden die Leistungsanforderungen gesteigert. Man beginnt jeweils mit dem Leistungsniveau, das der Patient eben noch bzw. gerade nicht mehr bewältigt. Zunächst kann also eine passive Stabilisierung erfolgen, von der aus die Anforderungen an die statische bzw. später die dynamische Kontrolle kleinschrittig gesteigert werden. Im Sitzen kann der Therapeut z. B. von hinten den Rumpf des Patienten vollständig sichern, während er am Rumpf kleine Stellungsänderungen vornimmt und den Patienten auffordert, dabei sein Gleichgewicht zu halten. Am anderen Ende des Leistungsspektrums stünden dann Gleichgewichtsübungen im Sitzen, bei denen der Patient mit seiner Hand weit nach vorne oder zur Seite reichen muss, um z. B. nach einem Objekt zu greifen (◘ Abb. 10.3).


Abb. 10.3
a, b. Therapie der posturalen Kontrolle im Sitzen. a Der Therapeut sichert von hinten den Rumpf des Patienten, während er kleine Rumpfbewegungen macht. Der Patient wird aufgefordert, dabei sein Gleichgewicht zu halten. b Höhere Anforderungen an die Rumpfkontrolle im Sitzen werden gestellt, wenn der Patient mit seiner Hand weit nach vorne oder zur Seite reichen muss, um z. B. nach einem Objekt zu greifen
Analog ist für das Training der posturalen Kontrolle im Stehen zunächst die Mobilisierung im Stehbrett zu nennen, bei voller Steigerung kann das dynamische Gleichgewicht auf einem Posturomed – einem Gerät mit beweglich aufgehängter, schwingender Grundplatte – trainiert werden bzw. mit der „Stups“-Therapie, bei der der Therapeut den Patienten stupst und dieser durch Ausfallschritte sein Gleichgewicht wiederherzustellen lernen soll (Jöbges et al. 2004).
10.4.1.5 Gangtraining
Das Gangtraining ist ebenfalls in einem aufgabenspezifischen Kontext am erfolgreichsten: Wer gehen lernen will, muss gehen. Entweder kann man bei nicht gehfähigen Patienten eine Laufbandtherapie mit partieller Gewichtsentlastung durchführen oder man übt das Gehen in der Ebene, soweit erforderlich und personell möglich, ggf. auch mit zwei Therapeuten. Auch das Üben auf der Treppe ist eine besonders sinnvolle Maßnahme, sobald dies möglich ist.
Auch wenn das Erlernen der Mobilität ein stufenweises Training von Kompetenzen erfordert, so zeigt sich beim Gangtraining das Prinzip „Hoffnung“ als gültig – denn auch bei nicht gehfähigen Patienten macht es Sinn, bereits das Gehen zu trainieren. Dabei ist ein möglichst intensives Training ein Schlüssel zum Erfolg (Outermans et al. 2010). Wie geht das?
Gehen mit Hilfsmitteln
Wenn schon ein gewisse Rumpfkontrolle (im Sitzen) vorhanden ist, kann durch Hilfsmittel, wie
Fußheberorthesen,
dorsale Gipsschalen zur Kniegelenkstabilisierung und besonders
Rumpfaufhängungen mit partieller Gewichtsentlastung,
eine sichere Therapiesituation geschaffen werden, in der das Gehen bei nicht selbständig steh- oder gehfähigen Patienten trainiert werden kann. Eine Möglichkeit ist auch das Laufband mit Fallschirmgurt (zur partiellen Gewichtsentlastung; ◘ Abb. 10.4), ggf. muss das stärker gelähmte Bein vom Therapeuten gesetzt werden.


Abb. 10.4.
Laufbandtherapie mit partieller Gewichtsentlastung. Die mechanisch unterstützte Gangrehabilitation mit Körpergewichtsentlastung ist eine besonders effektive Therapie, um bei nicht gehfähigen Patienten nach einem Schlaganfall früh selbstständige Gehfähigkeit zu erreichen
Auch Gangrobotos können diese Aufgabe übernehmen und damit die Therapeuten bzgl. der erforderlichen physikalischen Hilfe entlasten. Der Vorteil der Laufbandbehandlung liegt gerade darin, dass in einer überschaubaren Therapiezeit sehr viele Schritte absolviert werden: Bei der Laufbandtherapie werden in der gleichen Zeit mehr Schritte absolviert als beim Gehen auf ebenem Boden in der Therapie. Durch diese Intensitätssteigerung kann die Erholung der Gehfunktion verbessert werden. In der Praxis hat sich eine Kombination aus beidem bewährt.
Beim Üben auf der Treppe wird nicht nur das Treppensteigen gelernt, sondern gleichzeitig sollen in anderer Form auch bipedale Aktivitäten und posturale Anpassung trainiert werden. Das Gehen auf der Treppe ist also auch für das Gehen in der Ebene förderlich.
Andere Therapien können das Gehen unterstützen. Eine Aktivierung der Beine kann das Erreichen von Gehfähigkeit und deren Verbesserung zusätzlich fördern, z. B.
in einem Bewegungstrainer (z. B. Motomed) oder
durch Anregung der Willkürkontrolle mittels neuromuskulärer Elektrostimulationstherapie bzw. Bewegungstrainertherapie in Kombination mit einer zyklischen funktionellen Elektrostimulation (Ambrosini et al. 2011).
Die Auswahl der Hilfsmittel für das Gehen ist von der jeweiligen Schädigung abhängig. In der Therapie ist jeweils individuell zu erproben, mit welchen Hilfsmitteln der Patient am besten ein frühzeitiges, sicheres, selbstständiges Gehen erreichen kann. Das kann ein Rollator sein oder eine Vier-Punkt-Stütze, oder manchmal erlernt ein Patient das Gehen sogar besser ohne Stützen.
Selbständiges Gehen
Ziel ist immer, selbstständiges Leben schon zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu erreichen.
Anfänglich wird selbstständiges Gehen oftmals nur mit einer Kontaktperson erlaubt werden können, bis im weiteren Verlauf ausreichende Sicherheit für das Alleine-Gehen erreicht ist. Das selbstständige Gehen ist auch deshalb wichtig, weil dadurch eine Verstetigung erreicht und die Erholung der Funktion weiter beschleunigt werden kann. Im Weiteren kann dann an der Reduktion der notwendigen Hilfsmittel gearbeitet werden. Ist anfänglich vielleicht ein Rollator oder eine Vier-Punkt-Stütze erforderlich, kann im Weiteren die Gangstabilität soweit aufgebaut werden, dass nur ein Handstock erforderlich ist oder sogar ein Gehen ohne Stock möglich wird (◘ Abb. 10.5).
