Unfallchirurgische Aspekte der neurologischen Frührehabilitation



Abb. 18.1.
Verletzungsverteilung nach Polytrauma bei ISS ≥16 (nach DGU 2010)



Der Schweregrad der einzelnen Verletzungsregionen wird nach dem Abbreviated Injury Score (AIS) kategorisiert, und aus den drei am schwersten verletzten Körperregionen wird nach dem Injury Severity Score (ISS) die Gesamtverletzungsschwere berechnet.


18.2.1.1 Studien: Komplikationen


In einer Multicenterstudie unter Einschluss von 1.127 Patienten mit Femurschaftfraktur wurde eine unerwartet hohe Rate an Lungenkomplikationen beobachtet, wenn die Femurfraktur innerhalb von 24 h definitiv stabilisiert wurde. Diese Ergebnisse waren besonders auffällig, da mehrheitlich junge Patienten im Alter zwischen 20–30 Jahren ohne respiratorische Risikofaktoren betroffen waren.

Weitere Studien belegten die höhere Inzidenz an Komplikationen bei Patienten mit gleichzeitig vorliegendem schweren Thorax- oder Schädel-Hirn-Trauma (DGU 2010; Zeckey et al. 2011).



18.2.2 Konzept des Damage Control Orthopedics (DCO)


Bei der Behandlung von Schwerverletzten mit schwerem Thorax- und Schädel-Hirn-Trauma besteht die Gefahr, durch prolongierte chirurgische Maßnahmen die klinische Situation im Sinne des Second-Hit-Phänomens zu verschlechtern. Aus diesem Grund hat sich in der letzten Dekade bei der Primärversorgung solcher Patienten das Konzept des Damage Control Orthopedics etabliert (◘ Abb. 18.2).

A978-3-642-24886-3_18_Fig2_HTML.jpg


Abb. 18.2.
Damage Control Orthopedics mit Fixateur externe-Osteosynthesen und kinetische Therapie im Rotorest®

Grundlage dieses Konzepts ist die Hypothese, dass der klinische Verlauf nach Polytrauma im Wesentlichen durch drei Faktoren bestimmt wird:



  • Ausmaß des einwirkenden initialen Traumas („first hit“),


  • biologische Konstitution des verletzten Patienten,


  • Zeitpunkt, Qualität und Ausmaß des durchgeführten chirurgischen Eingriffs („second hit“).

Der behandelnde Unfallchirurg kann nur den letzten der drei genannten Faktoren beeinflussen, in dem das Ausmaß der primären Operationen auf das Wesentliche reduziert wird.

Primäre Operationen, die 6 h überdauern, und größere chirurgische Interventionen innerhalb der Tage 2–4 nach Polytrauma sollten strikt vermieden werden.

In Kenntnis dieser Zusammenhänge wurde für die Versorgung Polytraumatisierter ein 4-phasiges Behandlungskonzept abgeleitet:



  • Primäre OP-Phase (Notfall): Blutungskontrolle, Dekompression von Pneumothoraces und Kompartmentsyndromen sowie temporäre Stabilisierung von Frakturen mit Fixateur externe.


  • Intensivmedizinische Phase: mit Korrektur der Hypothermie und von Gerinnungsstörungen, Hirndruckmonitoring, Beatmungsmanagement.


  • Sekundäre OP-Phase (Ausversorgungsphase ab 5 Tagen): mit definitiver Frakturstabilisierung, sukzessiver Konversion von Fixateur externe auf interne Stabilisierungsformen.


  • Phase der Frührehabilitation: nach chirurgischer Ausversorgung und respiratorischer sowie hämodynamischer Stabilisierung des Patienten.

Je schwerer die Verletzung des Patienten, umso entscheidender ist die Ausrichtung der initiierten Versorgungsstrategie für das Outcome. Ein multidisziplinärer, patientenzentrierter Behandlungsansatz ist zur adäquaten Umsetzung des verletzungsadaptierten, abgestuften Versorgungskonzepts erforderlich (Hildebrand et al. 2004; Giannoudis 2003; Simmel u. Bühren 2009).



18.3 Verletzungen der Wirbelsäule


Mit Ausnahme pathologischer Frakturen sind Wirbelsäulenverletzungen Folge von Rasanztraumen nach Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großer Höhe.

Häufigster Verletzungsmechanismus ist das axiale Stauchungstrauma, das aufgrund des biomechanischen Körperlots meistens mit einer Ventralflexionsbewegung und anterioren Krafteinwirkung auf den Wirbelkörper einhergeht. Hieraus resultieren je nach Betrag und Richtung der Krafteinwirkung Kompressions-, Spalt- und inkomplette sowie komplette Berstungsfrakturen (Magerl Typ A), die meistens als stabil zu werten sind. Komplette Berstungsfrakturen werden i. d. R. wegen des Ausmaßes der Wirbelkörperdeformität und Hinterkantenbeteiligung sowie Fehlstellung des sagittalen Wirbelsäulenprofils operativ stabilisiert. Aufgrund negativer Beschleunigung manifestieren sich die Flexions-Distraktions-Verletzungen mit Zerreißung der dorsalen Wirbelsäulenstrukturen wie Intervertebralgelenke, Wirbelbögen und dorsale Längsbänder. Komplementär hierzu treten als Folge von Hyperextensionstraumen (z. B. frontaler Schädelanprall) Zerreißungen der ventralen Strukturen wie Wirbelkörper, Bandscheiben und ventrale Längsbänder auf. Beide Verletzungsformen werden als instabil beurteilt und unter Magerl Typ B subsummiert. Die schwerste Form der Wirbelsäulenverletzung (Magerl Typ C) entsteht aus einer Kombination der zuvor beschriebenen Mechanismen plus Rotations- und Scherkräfte, die sich in einer zusätzlichen translatorischen Instabilität manifestieren. Die instabilen Magerl Typ B- und C-Verletzungsformen sind häufiger mit neurologischen Läsionen assoziiert.

Wird die segmentale Verletzungshöhe betrachtet, so manifestieren sich Wirbelsäulenverletzungen am häufigsten am



  • HWK 2 (Dens axis),


  • zervikothorakalen Übergang mit Punktum maximum HWK 5 und


  • thorakolumbalen Übergang mit den Bewegungssegmenten BWK 12–LWK 2 (◘ Abb. 18.3).

    A978-3-642-24886-3_18_Fig3_HTML.gif


    Abb. 18.3.
    Segmentale Verletzungshäufigkeit der Wirbelkörper (Tscherne 1997)

Das Spektrum an möglichen Verletzungen ist somit vielfältig und wirft hinsichtlich Belastungsstabilität und Mobilisationsfreiheit häufig Fragen auf. Der pflegerische und rehabilitative Umgang mit Patienten nach Wirbelsäulentrauma ist häufig mit Unsicherheit im betreuenden Team verbunden. Nachfolgende Ausführungen sollen zur Erhöhung der Handlungssicherheit beitragen (Aebi et al. 1992).


18.3.1 Verletzungen der Halswirbelsäule



18.3.1.1 Densfraktur


Bei Schädel-Hirn-Traumen ist die Mitverletzung der Halswirbelsäule (HWS) auszuschließen, und umgekehrt ist bei HWS-Traumen auf Mitbeteiligung des Zerebrums zu achten.

Die häufigste Fraktur der oberen HWS ist mit einem Anteil von 15 % aller HWS-Verletzungen die Fraktur des 2. Halswirbelkörpers (HWK 2), die sog. Dens-axis-Fraktur. Am weitesten klinisch verbreitet ist die Einteilung der Densfrakturen nach dem 1974 von Anderson und D`Alonzo beschriebenen Klassifikationssystem (◘ Abb. 18.4):

A978-3-642-24886-3_18_Fig4_HTML.gif


Abb. 18.4.
Klassifikation der Densfraktur (Hsu u. Anderson 2010; nach Anderson und D´Alonzo 1974)




  • Typ-I-Frakturen betreffen als Avulsionsfrakturen des Lig. alare, die Densspitze und werden mit Zervikalorthese (z. B. Miami J Collar®) konservativ behandelt (◘ Abb. 18.5).

    A978-3-642-24886-3_18_Fig5_HTML.jpg


    Abb. 18.5.
    Patient mit 2-teiliger Zervikalorthese (Miami J Collar®)


  • Frakturen der Densbasis (Typ II) und des Denskörpers (Typ III) erfordern eine operative Stabilisierung, da insbesondere Densfrakturen Typ II unter konservativer Therapie eine hohe Pseudarthrosenrate (26–85 %) aufweisen.


Operative Versorgung/Nachbehandlung

Die Densfraktur Typ II tritt am häufigsten auf und wird typischerweise durch eine leicht konvergierende doppelläufige Densschraubenosteosynthese (interfragmentäre Kompression) operativ stabilisiert (◘ Abb. 18.6).

A978-3-642-24886-3_18_Fig6_HTML.gif


Abb. 18.6.
Ventrale Zugschraubenosteosynthese mit Ansicht von vorne und seitlich (Aebi et al. 1992)

Zur Protektion der Osteosynthese ist eine zusätzliche Immobilisation mit Zervikalorthese für 6 Wochen postoperativ erforderlich. Es ist erlaubt, die Orthese unter achsenskelettgerechter Haltung zur Pflege temporär zu öffnen, sie sollte aber innerhalb der ersten 6 Wochen permanent Tag und Nacht getragen werden. Um eine suffiziente protektive Wirkung zu erzielen, ist auf einen korrekten Sitz der Zervikalorthese mit Kinnauflage und thorakaler Abstützung zu achten.

Densfrakturen Typ III machen weniger als ein Drittel der Densfrakturen aus und können aufgrund des breitbasigen Frakturverlaufs in den Axiskörper bei undislozierter Form konservativ mit Zervikalorthese therapiert werden. Dislozierte Formen der Densfraktur Typ III werden unter Bildverstärker geschlossen reponiert und extern durch die Anlage eines Halofixateurs operativ stabilisiert.

Sowohl mit Zervikalorthese als auch mit Halofixateur sind Heilungsraten von 92–95 % zu erwarten. Während beim jungen Patientenkollektiv die Komplikationsrate bei Densfrakturen niedrig ist, ist die Mortalitätsrate bei geriatrischen Patienten insbesondere bei Halofixateurbehandlung sehr hoch (42 %).


Mögliche Komplikationen

Densfrakturen sind gewöhnlich nicht mit neurologischen Defiziten assoziiert, aber bei posterior dislozierten Densfrakturen sind schwere respiratorische Komplikationen beschrieben worden. Bei der Anwendung der externen Stabilisierung durch Halofixateur sind neben kardiopulmonalen Kompromittierungen und Schluckstörungen Komplikationen wie Pinlockerungen, Pinstelleninfektionen, Schädelkalottenperforationen sowie Druckstellen bekannt (Hsu u. Anderson 2010; Horodyski et al. 2011).


18.3.1.2 Halofixateursystem


Aus Verletzungen der oberen HWS ergeben sich Indikationen zur geschlossenen Reposition und Retention der Repositionsstellung mittels Halofixateursystem. Sowohl für den Patienten als auch für das mit dem Halofixateur konfrontierte Pflegepersonal ist der Umgang mit dem Halosystem häufig sehr abschreckend. Im Folgenden wird das Prinzip der Halofixateurmontage erklärt und auf Gefahren und Fehler unter der Therapie hingewiesen.

Der Halofixateur ist als dreiteiliges System aufzufassen, bestehend aus Halo-Ring und Halo-Jacket, welche über 4 Graphitstäbe per Imbusverschluss miteinander verbunden werden. Die Größe von Halo-Ring und -Jacket wird nach Umfangmessungen von Kopf und Brustkorb gewählt und vorbereitet. Je nach Compliance des Patienten kann der Halofixateur im Sitzen oder bevorzugt im Liegen angelegt werden.


Anlage des Halofixateurs

Der Abstand zwischen Kopf und Ring soll zirkumferenziell 1,5 cm betragen. Die Montage des Halo-Rings erfolgt 1 cm oberhalb der Augenbrauen und der Ohrmuscheln, im Verlauf der sog. Hutkrempe. Mithilfe von Distanz- bzw. Positionsstiften im Ring lässt sich die Anlage des Halos erleichtern. Über Kopfschrauben wird nun der Halo-Ring an 4 Positionen an der Tabula externa der Schädelkalotte fixiert. Hierzu erfolgt an den geplanten Schraubeneintrittsstellen eine Rasur, Desinfektion und Lokalanästhesie. Die Kopfschrauben werden zunächst gleichmäßig bis zur Schädelkalotte mit den Fingern vorgedreht. Danach werden die Kopfschrauben mit dem Drehmomentschlüssel (kleine Sechskantspitze) jeweils diagonal überkreuz mit 6 Nm angezogen. Das Drehmoment der Kopfschrauben ist nach 24–48 h und regelmäßig während der Tragezeit zu überprüfen und ggf. nachzudrehen. Nach Überprüfen eines suffizienten Schraubensitzes in der Schädelkalotte werden die Kontermuttern am Halo-Ring fixiert. Die Positionsstifte werden nun entfernt.

Das Halo-Jacket ist zweiteilig, besteht also aus einer hinteren und einer vorderen Schale, die jeweils mit 2 Graphitstäben vorbereitet werden. Durch Anheben oder En bloc-Drehen des Patienten wird zunächst die hintere Schale unter den Patienten positioniert. Anschließend wird die vordere Schale des Jackets angelegt und die Schulter- und Taillenriemen symmetrisch festgezogen. Dabei wird darauf geachtet, dass die Weste auf der Schulter aufliegt. Die 2 hinteren und 2 vorderen Graphitstäbe werden nun nach proximal in die Kopfblöcke des Halo-Rings vorgeschoben und nach geschlossener Reposition der HWS unter Bildverstärker mit 30 Nm Drehmoment (große Sechskantspitze) fixiert. In Abhängigkeit von Fraktur und Durchbauungsprozess wird der Halofixateur 6–12 Wochen belassen. Der Durchbauungszustand lässt sich in den meisten Fällen sicher nur CT-morphologisch beurteilen.

Mögliche Komplikationen



  • Es besteht Gefahr des Abrutschens des Halo-Rings nach kranial, wenn dieser zu hoch, also oberhalb der Hutkrempe angelegt wurde. Im Vergleich zu den internen Stabilisierungsverfahren ist keine absolute Ruhigstellung möglich.


  • Mangelnde Pflege der Schraubeneintrittsstellen in die Schädelkalotte birgt die Gefahr der Infektion. Die Pinstellen sollten wie bei anderen Fixateur externe-Systemen mit Desinfektionslösung (z. B. Octenisept®) gereinigt werden.


  • Die Verbindungsstellen des Halofixateursystems sind regelmäßig auf Festigkeit zu prüfen. Auf der vorderen Schale des Halo-Jackets sollte jeweils ein großer und ein kleiner Sechskantimbus aufgeklebt sein, um das Nachziehen der Schrauben zu ermöglichen oder eine notfallmäßige Demontage des Halofixateurs zu erlauben.


  • Für den Fall einer kardiopulmonalen Reanimation (CPR) befindet sich an der vorderen Schale der Weste eine sog. Herzeingriffsfalte, die sich nach Lösen der Taillenriemen an der Sollbruchstelle hochklappen lässt. Hierdurch sollte sich eine ausreichende Exposition für die CPR bieten.


18.3.1.3 Zervikothorakale Verletzungen


Typische Prädilektionstelle für Verletzungen der unteren HWS ist der zervikothorakale Übergang HWK 5–7, d. h. der anatomische Übergang von der mobilen Halswirbelsäule zur (durch den Brustkorb) rigiden Brustwirbelsäule.


Operative Versorgung

Die Verletzungen der unteren HWS werden durch eine ventrale H-Platte osteosynthetisch versorgt. Die Platte bewirkt bei Flexionsmechanismus eine Abstützung und bei Extensionsmechanismus eine Zuggurtung des verletzten Bewegungssegments. Insbesondere in der zervikalen Region werden zerstörte Bandscheiben oder Wirbelkörper ausgeräumt und durch autologe Knochenspäne vom Beckenkamm oder sog. Cages als Wirbelkörperersatz aufgefüllt. Dies führt zur Verblockung des verletzten Bewegungssegments (◘ Abb. 18.7).

A978-3-642-24886-3_18_Fig7_HTML.gif


Abb. 18.7.
Ventrale interkorporelle Spondylodese (VIS) mit ventraler Plattenosteosynthese (Aebi et al. 1992)


18.3.2 Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule


Die Brustwirbelsäule ist anatomisch in den knöchernen Thorax integriert und hierdurch eher vor einwirkenden äußeren Kräften geschützt. Verletzungen der BWS sind selten und meist Bestandteil eines Polytraumas. Indikator für eine Mitverletzung der Brustwirbelsäule ist ein schweres Thoraxtrauma mit Sternumfraktur.

Die Lendenwirbelsäule ist die am häufigsten betroffene Verletzungsregion der Wirbelsäule. In 50 % der Fälle ist LWK 1 betroffen. Ein typischer Mechanismus ist die Flexions-Distraktions-Verletzung mit Kompression oder Berstung des betroffenen Wirbelkörpers, wie sie Fahrzeuginsassen erleiden, die nur mit einem Bauchgurt gesichert waren.


18.3.2.1 Verletzungen des thorakolumbalen Übergangs


Typische Manifestationslokalisationen sind analog zum zervikothorakalen Übergang die Bewegungssegmente BWK 12 bis LWK 2, wobei der 1. Lendenwirbelkörper bis zu 50 % aller Wirbelkörperfrakturen ausmacht. Berstungsfrakturen (Typ-A-Frakturen mit Hinterkantenbeteiligung) und instabile Typ-B- und Typ-C-Verletzungen müssen intern osteosynthetisch stabilisiert werden. Hierzu hat sich das Prinzip des Fixateur interne etabliert. Aufgrund der großen Variabilität der bei Kyphosierung oder Lordosierung einwirkenden Kräfte erstreckt sich die OP-Indikation zur Neutralisation dieser Kräfte und Wiederherstellung des sagittalen Wirbelsäulenprofils nahezu auf alle Frakturen der unteren Brust- und oberen Lendenwirbelsäule.


Operative Versorgung

Bei der dorsalen Instrumentierung und Stabilisierung der Wirbelsäule mittels Fixateur interne wird jeweils durch den rechten und linken Pedikel des kranialen und kaudalen Nachbarwirbels eine sog. Pedikelschraube eingedreht. Bei einer Kompressionsfraktur mit ventraler Höhenminderung und dorsaler ligamentärer Zerreißung wird eine Aufrichtung (Relordosierung) des frakturierten Wirbelkörpers durch Zusammenführen der Pedikelschrauben an den hinteren Enden erzielt (◘ Abb. 18.8).

A978-3-642-24886-3_18_Fig8_HTML.gif


Abb. 18.8
a, b. Dorsale Instrumentierung einer LWK-3-Kompressionsfraktur mit Fixateur interne (Aebi et al. 1992)

Die Pedikelschrauben werden jeweils rechts und links mit einem Längsstab verbunden, der im Sinne eines internen Lastträgers die axialen Kräfte bei Vertikalisierung des Patienten weiterleitet. An den segmental betroffenen Intervertebralgelenken wird zur Komplettierung der dorsalen Spondylodese mit Fixateur interne autologer spongiöser Knochen vom Beckenkamm angelagert. Bei rotationsinstabilen Typ-C-Verletzungen oder einer mehrsegmentalen Beteiligung (>2 Bewegungssegmente) werden diese Längsstäbe zur Kompensation der Scherkräfte zusätzlich durch einen Querstab H-förmig miteinander verbunden. Meistens umfasst die interne Fixationsstrecke nur 2 Bewegungssegmente und hat damit nur einen minimalen Einfluss auf die Gesamtbeweglichkeit der Wirbelsäule. Bei Berstungsfrakturen mit signifikanter Einengung des Spinalkanals ergibt sich über den gleichen dorsalen Zugang zur Wirbelsäule die Indikation zur zusätzlichen Laminektomie, sprich Dekompression des Rückenmarks von dorsal durch Resektion des Dornfortsatzes und des Wirbelbogens.


Nachbehandlung

Die in dieser Weise stabilisierten Wirbelkörperverletzungen sind nach OP lagerungs- und übungstabil. Wie im akuten Setting einer Wirbelsäulenverletzung ist eine axiale En bloc-Mobilisation des Patienten bei eingeschränkter Compliance erlaubt. Die aktive Mobilisation sollte achsengerecht durch Abrollen über die Schulter und anschließende Aufrichtung erfolgen. Kyphotische Lagerungen bei aufgestelltem Kopfteil des Betts oder Mobilisation mit dem Bettgalgen sind zur Protektion des Repositionsergebnisses zu vermeiden (Tscherne 1997; Sumida et al. 2001; Lendemans et al. 2011).


18.4 Verletzungen der oberen Extremität


Die obere Extremität hat eher funktionellen Ansprüchen zu genügen und zeichnet sich durch Flexibilität und ein hohes Bewegungsausmaß aus. Statische Ansprüche sind im Gegensatz zu den Anforderungen der unteren Extremität weniger bedeutend. Obwohl Verletzungen an der oberen Extremität häufig eine Domäne der konservativen Therapie sind, wird im Rahmen der Polytraumaversorgung mit Verletzung mehrerer Extremitäten die Indikation zur operativen Stabilisierung im Sinne einer Erleichterung der Rehabilitation großzügiger gestellt.


18.4.1 Verletzungen des Schultergürtels


Der Schultergürtel fungiert als dynamisches Bindeglied zwischen Rumpf und Arm. Zu den Verletzungen des Schultergürtels zählen



  • Frakturen der Klavikula und des Schulterblatts sowie


  • kapsuloligamentäre Verletzungen des Sterno- und Akromioklavikulargelenks.


Konservative Behandlung

Verletzungen des Schultergürtels werden bei Polytraumatisierten meist als Bestandteil eines schweren Thoraxtraumas gefunden. Meist erfolgt eine konservative Therapie der o. g. Verletzungen durch Anlage eines Gilchrist-Verbands. Bei intensivmedizinischer Versorgung hat sich die Verwendung eines Rucksackverbands zur konservativen Therapie von Klavikulafrakturen als wenig vorteilhaft erwiesen, da durch den interskapulären Verschlussring Druckstellen entstehen können und sich bei analgosedierten Patienten in Rückenlage ein Rucksackverband ohnehin erübrigt.

Für die konservative Therapie gilt das in ▶ Übersicht 18.3 dargestellte Therapieschema.


Übersicht 18.3. Therapieschema bei konservativ behandelten Verletzungen des Schultergürtels





  • 1. Woche: Gilchrist-Verband, Isometrie, Beüben der angrenzenden Gelenke (Streckung Ellenbogen, Unterarmumwendung, Handgelenk- und Fingerextension/-flexion)


  • 2. Woche: Pendelübungen


  • 3. Woche: passive Abduktion


  • 4.–6. Woche: frühfunktionelle Therapie mit passiven und aktiv-assistiven Bewegungsübungen bis zu einer maximalen Abduktion und Anteversion von 90°


  • >6. Woche: zunehmend freies aktives Bewegungsausmaß

Dieses Therapieschema gilt auch für Rekonstruktionen des Akromioklavikulargelenks und Frakturen der lateralen Klavikula. Dabei ist zu beachten, dass eine temporäre perkutane Kirschnerdrahttransfixation des AC-Gelenks 6 Wochen postoperativ entfernt wird.


Operative Versorgung/Nachbehandlung

Nach operativer Stabilisierung von Klavikulaschaftfrakturen mittels Plattenosteosynthese ist ein frühfunktionelles Üben im schmerzfreien Rahmen bis 90° Abduktion und Anteversion erlaubt. Nach radiologischer Stellungskontrolle ist der Bewegungsrahmen schmerzadaptiert sukzessive steigerbar. Hebe- und Abstützbelastungen über 2 kg sind insgesamt bis zur 12. Woche zu vermeiden.


18.4.2 Verletzungen des Schultergelenks


Unter den Verletzungen des Schultergelenks werden subsummiert:



  • Frakturen des proximalen Humerus und des Glenoids sowie


  • kapsuloligamentäre Verletzungen nach Schulterluxation.

Nach Hochrasanztrauma bei Mehrfachverletzung treten Luxationsfrakturen auf, bei denen eine Kombination der o. g. Verletzungen vorliegt.


Konservative Behandlung

Bei gering dislozierten proximalen Humerusfrakturen (<5 mm Ad-latus-Dislokation, ≤2 mm Tuberculum-majus-Dislokation, <20°Abkippung der Kalotte) und stabilen Frakturen ist die konservative Behandlung erste Wahl und folgt dem in ▶ Übersicht 18.4 dargestellten Algorithmus.


Übersicht 18.4. Algorithmus für konservativ behandelte proximale Humerusfrakturen





  • 1. Woche: Gilchrist-Verband, Isometrie, Beüben der angrenzenden Gelenke (Streckung Ellenbogen, Unterarmumwendung, Handgelenk- und Fingerextension/-flexion)


  • 2. Woche: Pendelübungen


  • 3. Woche: passive Abduktion bis zur Schmerzgrenze


  • 4.–6. Woche: frühfunktionelle Therapie mit passiven und aktiv-assistiven Bewegungsübungen bis zu einer maximalen Abduktion und Anteversion von 90°


  • >6. Woche: zunehmend freies aktives Bewegungsausmaß

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist die überwiegende Mehrheit der Oberarmkopfbrüche (ca. 70–80 %) konservativ ohne Operation gut zu behandeln. Hierbei spielen der rechtzeitige Beginn der Physiotherapie und die gute Anleitung des Patienten sowie dessen Mitarbeit eine wichtige Rolle für das Endergebnis.


Operative Versorgung

Neben Luxationsfrakturen ist die Indikationsstellung zur operativen Therapie proximaler Humerusfrakturen komplex (Tuberculum-majus-Frakturen, knöcherne Ausrisse der Rotatorenmanschette; Dislokationen von ≥2 mm, Ad-latus-Dislokation >5 mm, Abkippung des Kalottenfragments >20°, Collum-chirurgicum-Frakturen, Collum-anatomicum-Frakturen, metaphysäre Trümmerzone). Typisches Implantat zur Osteosynthese proximaler Humerusfrakturen ist die winkelstabile Philosplatte.


Nachbehandlung

Postoperativ wird ein 30°-Schulterabduktionskissen für 6 Wochen angelegt, um Verklebungen und Schrumpfungen der Kapsel des Recessus axillaris zu vermeiden. Die frühfunktionellen Nachbehandlungen sind im Weiteren analog zum o. g. Algorithmus für konservative Therapie. Radiologische Stellungskontrollen erfolgen nach 6 und 12 Wochen. Hebe- und Stützbelastungen über 2 kg sind nach Ablauf von 3 Monaten wieder erlaubt (Krettek u. Wiebking 2011).


18.4.3 Verletzungen des Oberarms


Humerusschaftfrakturen im mittleren Drittel stellen eine Domäne der konservativen Frakturbehandlung dar. Besonders geeignet sind Schräg- bzw. Spiralfrakturen mit großer Kontaktfläche der Frakturzone.


Konservative Behandlung

Begonnen wird die konservative Therapie durch Anlegen eines gipsverstärkten Gilchrist-Verbands. Das anschließende Behandlungsschema ist in ▶ Übersicht 18.5 aufgeführt.


Übersicht 18.5. Therapieschema bei konservativ behandelten Humerusschaftfrakturen





  • 1.–3. Woche: Gipsverstärkter Gilchrist-Verband. Der Patient wird instruiert, sog. Kokontraktionsübungen durchzuführen, bei denen simultan isometrische Kontraktionen des M. biceps und M. triceps erfolgen. Hierdurch wird formender Druck auf die Fraktur ausgeübt und die Fragmente in Reposition „massiert“. Das angrenzende Handgelenk und die Fingergelenke sollen beübt werden. Insbesondere sind die Fingergrundgelenke zu beugen und PIP- und DIP-Gelenke zu strecken. Röntgenkontrolle nach 3 Wochen


  • 4–6. Woche: Wechsel zu Oberarmbrace zum frühfunktionellen Üben mit Flexion des Ellenbogengelenks. Röntgenkontrolle nach 6 Wochen


Operative Versorgung

Alternativ erfolgt bei Humerusschaftfrakturen höherer Dislokation und ohne Kontakt der Frakturenden eine interne Stabilisierung durch Plattenosteosynthese. Insbesondere bei Verletzung mehrerer Extremitäten erleichtert diese die weiteren Rehabilitationsabläufe, da eine sofortige übungsstabile Situation vorliegt.


Nachbehandlung

Frühfunktionelle Übungen der angrenzenden Gelenke werden im schmerzfreien Rahmen durchgeführt. Aktiv-assistive Bewegungsübungen unter Vermeidung von biomechanischem Stress auf die Osteosynthese sind erlaubt. Frakturheilung hat jedoch Vorrang vor Funktionsgewinn. Radiologische Kontrollen sollten nach 6 und 12 Wochen erfolgen. In Abhängigkeit von der Durchbauung sind Hebe- und Stützbelastungen >2 kg freizugeben.


Mögliche Komplikationen

Häufigste Komplikation von Humerusschaftfrakturen ist mit bis zu 27 % die Läsion des N. radialis, insbesondere bei Frakturen im distalen Drittel des Humerus. Der überwiegende Anteil der Nervenfunktionsstörungen bildet sich spontan zurück. Für die Zeit der Parese ist die sich einstellende Fallhand bei sensomotorischem Defizit mit einer Radialisschiene zu unterstützen.


18.4.4 Verletzungen des Ellenbogens


Verletzungen des Ellenbogengelenks umfassen Frakturen



  • des distalen Humerus,


  • der proximalen Ulna und


  • des Radiusköpfchens.

Diese treten bei Hochrasanztrauma häufig kombiniert als sog. Luxationsfrakturen des Ellenbogens auf, mit unterschiedlichem Ausmaß an kapsuloligamentärer Beteiligung.


Operative Versorgung

Die Primärtherapie besteht aus der temporären Anlage eines gelenkübergreifenden Fixateur externe, der die Lagerung des betroffenen Arms und die Intensivpflege des Polytraumatisierten erleichtert. Bis auf wenige Ausnahmen ist die definitive operative Stabilisierung dieses 3-teiligen Gelenkkomplexes (Humeroradial-, Humeroulnar- und proximales Radioulnargelenk) durch Platten-/Schraubenosteosynthese des distalen Humerus und Zuggurtungosteosynthese des Olekranons Therapie der Wahl. Ziel ist es, eine bewegungsstabile Situation als Grundlage einer frühfunktionellen Übungsbehandlung herzustellen.


Nachbehandlung

Insbesondere Frakturen des distalen Humerus bedürfen einer differenzierten Nachbehandlung, die über eine enge Kooperation zwischen Operateur und Physiotherapeut abgestimmt ist. Diese Forderung basiert auf der Erfahrung, dass forcierte Übungsbehandlungen – auch passiver Art – zu einem vermehrten Auftreten heterotoper Ossifikationen führen können. Dies wird zusätzlich getriggert durch das simultane Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas. Dementsprechend ist eine medikamentöse Prophylaxe mit 3×25 mg Indometacin für 6 Wochen postoperativ anzuraten.

Kontinuierliche passive Übungsbehandlungen im schmerzlimitierten Rahmen für Extension und Flexion sowie Umwendung des Unterarms sollten die aktiven Bewegungsabläufe einleiten und unterstützen. Schulter- und Handgelenk sind als angrenzende Gelenke in die Bewegungsübungen einzubeziehen. Ziel sollte mindestens eine Ellenbogenflexion von 120° sein, bei der die Hand zum Mund geführt werden kann.

Ist der erreichte Bewegungsumfang 2–3 Wochen postoperativ wieder rückläufig, so ist an die Ausbildung periartikulärer Verkalkungen zu denken.

Zur Beurteilung der Frakturheilung sind 6 und 12 Wochen postoperativ Röntgenbilder anzufertigen. Hebe- und Stützbelastungen >2 kg sind nach sicherer ossärer Konsolidierung wieder möglich (Gutbier 2010).


18.4.5 Verletzungen des Unterarms


Am Unterarm treten Radius- und Ulnaschaftfrakturen entweder isoliert oder per Definition als Unterarmfraktur kombiniert auf.


Operative Versorgung

Beide Unterarmknochen sind über die Membrana interossea syndesmotisch und über das proximale und distale Radioulnargelenk artikulär miteinander verbunden. Bei der Unterarmumwendung dreht sich der Radius um die Ulna. Somit handelt es sich bei Unterarmfrakturen funktionell um eine Gelenkfraktur, die eine übungsstabile Osteosynthese zum frühfunktionellen Üben erfordert. Osteosynthese der Wahl ist die Plattenosteosynthese (LCDCP, LCP) der Ulna und/oder des Radius.


Nachbehandlung

Frühpostoperativ sind passive und aktive Bewegungsübungen durchzuführen, die Pro- und Supinationsbewegungen sowie Bewegungen der angrenzenden Gelenke schmerzadaptiert miteinbeziehen. Dabei ist darauf zu achten, dass der Oberam bei der Umwendeübung am Thorax angelegt bleibt. Längerfristig kann die Pro-/Supination durch die Ausbildung eines radioulnären Brückenkallus wieder rückläufig bzw. limitiert sein.


18.4.6 Verletzungen des Handgelenks und der Hand



18.4.6.1 Distale Radiusfraktur


Bei Verletzungen des Handgelenks ist als häufigste Fraktur des Erwachsenen (25 % aller Frakturen) der distale Radius als Extensionsfraktur betroffen.


Konservative Behandlung

Nicht oder gering dislozierte Frakturen werden konservativ durch Anlage einer dorsoradial umgreifenden Unterarmgipsschiene über 4 Wochen behandelt.


Operative Versorgung/Nachbehandlung

Extraartikuläre Frakturen ohne dorsale Trümmerzone werden im Aushang reponiert und durch körbchenartig eingebrachte Kirschnerdrähte die Repositionsstellung retiniert. Zusätzlich erfolgt für 4 Wochen die Anlage einer dorsoradial umgreifenden Gipsschiene. Unter konservativer Therapie und nach K-Drahtung werden 4, 7, 14 und 28 Tage nach Versorgung Röntgenkontrollen gemacht. K-Drähte und Schiene sind nach 4 Wochen zu entfernen.

Mögliche Komplikationen

Dec 11, 2016 | Posted by in NEUROLOGY | Comments Off on Unfallchirurgische Aspekte der neurologischen Frührehabilitation

Full access? Get Clinical Tree

Get Clinical Tree app for offline access